Interview mit Theresia Walser

Interview mit Theresia Walser

14.03.2024

Im Luxemburger Wort

Maßgeschneidert für Luxemburgs Charakterkopf Steve Karier

Die Autorin des Stücks „Eschenliebe", Theresia Walser, gibt einen Einblick in das Stück, das ab Freitag, dem 15. März, im Kapuzinertheater zu sehen ist.

 

„Daliah Kentges, die Regisseurin, hat Steve Karier nicht nur den inneren Freiraum geschaffen, sondern auch einen konkreten Bühnen- Raum, in dem unterschiedliche Stimmungen erst möglich werden."

 

Mehr als einen Schauspieler und zwei Wassereimer braucht es in dieser Inszenierung nicht. Die Autorin Theresia Walser hat in „Eschenliebe" auf die kontrastreiche Darstellungskraft von Steve Karier gesetzt. Er spielt diesen Mann, einen Sonderling, in dem so vieles an Emotionen, Tragik und Komik aufschimmert. Im Gespräch verrät die Autorin mehr zu dem „Theatermaßanzug" für Karier.

 

Theresia Walser, warum haben Sie dieses Stück so sehr der Regisseurin Daliah Kentges und dem Schauspieler Steve Karier als Uraufführung anvertraut?
2020, als die Welt im Lockdown verschwand und auch die Theater dunkel bleiben mussten, kam von Rolf Hemke, dem Leiter des Weimarer Kunstfests, die Anfrage, ob ich einen Monolog schreiben könnte, den man im Sommer draußen in einem Autokino aufführen kann. Damals habe ich für die Schauspielerin Judith Rosmair geschrieben. Der Text handelte von einer Frau die auf einem verseuchten Luxusdampfer in ihrer Einzelkabine eingesperrt ist. Ich schätz es sehr, beim Schreiben bereits zu wissen, welche Schauspielerinnen oder Schauspieler es einmal spielen werden. Das Schreiben fühlt sich dann gleich viel lebendiger an, und man kommt auf Figuren-Ideen, auf die man sonst vielleicht nie gekommen wäre. Als mich 2023 das Kunstfest erneut anfragte und dabei Steve Karier nannte, hat mich das sehr gefreut. Ich hatte ihn einmal im Rahmen dieses Festivals auf der Bühne gesehen, sein schwer einzuordnendes Funkeln hat mir gleich gefallen und auch seine Umschwünge von Zartheit in Radikalität. Als wir uns dann trafen, und ich Steve Karier zum ersten Mal von der Idee erzählte, über einen Mann zu schreiben, der nachts im Park seine „Baum-Geliebte" besucht, hatte ich den Eindruck, er verwandle sich direkt vor meinen Augen in eine Figur, die ich noch gar nicht geschrieben hatte. Wie selbstverständlich er einen in abgelegene Gefühlslagen und bizarre Obsessionen hineinziehen kann, das hat mich sehr beeindruckt und berührt.

 

Und letztlich setzt ja dann auch die Inszenierung nun ganz darauf. Zwei Wassereimer - mehr gibt es nicht als Requisite, geschweige denn als Bühnenbild.
Ganz genau - und er macht das wunderbar. Daliah Kentges, die Regisseurin, hat ihm dafür nicht nur den inneren Freiraum geschaffen, sondern auch einen konkreten Bühnen-Raum, in dem unterschiedliche Stimmungen erst möglich werden. Was Regisseurin und Schauspieler aus diesem minimalistischen Setting mit Licht und Ton hervorholen, und welche atmosphärischen Welten sie dabei erschaffen, finde ich fantastisch. Man kann sich dieser komisch-traurigen Reise von Luc Teichmann ganz und gar hingeben. Allein Steve Kariers Gesicht ist ja bereits eine Bühne für sich!

 

Sie mögen das Anarchische und Groteske in Ihrer Arbeit. Nun steht ein Objektfetisch im Raum. Sind das Tabuzonen? Oder wie gehen Sie damit um?
Eine solche Figur zu pathologisieren oder ihr eine therapeutische Diagnose anzuhängen, wäre langweilig und würde an einer Figur wie der des Luc Teichmanns vorbeigehen. Schließlich leben Theaterfiguren unser aller Wahnsinn auf einer Bühne aus. So können wir uns im schönsten Sinne vor uns selbst fürchten. Teichmanns zarte Renitenz und sein Eigensinn, mit der er sich ein Rätsel bewahrt, macht ja gerade seinen verschrobenen Charme aus. Dabei sucht er keinen Herdenschutz in einer Community und sammelt auch keine Followers. Er taugt auch nicht als eine Gallionsfigur, die man vor einen Protestwagen spannen kann. Einmal sagt er über sich selbst, dass er überhaupt nicht verstanden werden will. Gleichgesinnte seien ihm ein Grauen! Das macht ihn einerseits zum Außenseiter, andererseits ist er aber auch trickreich und gewieft, wenn es darum geht, den unauffälligen Arbeitskollegen zu mimen. Beim täglichen Straßenbahnfahren lauscht er sich von anderen Urlaubs- und Beziehungsgeschichten ab, die er später als seine eigenen ausgibt. Geschichten-Recycling nennt er das. Er besteht so sehr auf der Einzigartigkeit seiner Liebe, als fürchte er geradezu, dass ihm das Verständnis der anderen etwas an der Intensität seiner Beziehung rauben könnte.

 

Was macht es für Sie als Autorin so besonders, das so für die Bühne vorzuschlagen?
Es ist ein schmaler Grat, den man mit einer solchen Figur geht, ohne in Richtung Satire abzudrehen. Mich interessiert vor allem die Beglaubigung ein
solchen ungewöhnlichen Liebe, mit all ihrer Verletzlichkeit, die sie mit sich bringt. Vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe wirkt dieser Mann, der nachts zwei Eimer Wasser an den Stadtrand schleppt, um einen vertrockneten Baum zu gießen, erst recht verzweifelt. Für Teichmann ist es ein Tragödie, wenn seine Esche stirbt. Es würde ihn auch nicht trösten, wenn man dort eine neue pflanzt. Eine solche Beziehung ist natürlich von vornherein geprägt von Einsamkeit und drohendem Verlust. In der Nacht, in der wir Teichmann erleben, ist ihm heimlich ein Arbeitskollege gefolgt. Das heißt, es gibt für kein Zurück mehr in sein altes Leben. Das Reizvolle ist für mich, Luc Teichmann nicht als Spinner abzutun, sondern seine Geheimnisnester zu erkunden, in denen vielleicht eine Ahnung für seine Motive verborgen liegen.

 

War „Eschenliebe" im Vergleich zu anderen Stücken von Ihnen eine Möglichkeit, auch mal einen anderen Weg einzuschlagen? „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel" lässt Diktator-Gattinnen aufeinandertreffen, in „Eine Stille für Frau Schirakesch" wird die Steinigung einer Frau zum Thema einer Talkshow voller Polittheater, in „Die Empörten" rast ein Auto in eine Menschenmenge und die ideologischen Populisten kämpfen um die Deutung dieses Ereignisses. Wie lässt sich da „Eschenliebe" verstehen? Ein Aufbäumen gegen den Stempel, den man Ihnen als Autorin vielleicht sogar gegeben hat?
Das denke ich eigentlich nicht, zumal es ganz unterschiedliche Stücke von mir gibt. In einem Monolog kann man sich natürlich anders in eine Figur hineinverstricken als in einem Mehrpersonenstück, mit dem man ein dialogisches Ping Pong voller Konflikte anheizt. In einem Solo dagegen offenbaren sich die inneren Mehrstimmigkeiten einer Figur. Durch Luc Teichmann spricht aber auch immer wieder sein Umfeld zu uns. Die Art und Weise, wie er seine Kolleginnen und Kollegen zu Wort kommen lässt, zeigt, wie es um sein Leben steht. Es reizt mich, immer mal wieder mit einzelnen Figuren auf solche Reisen zu gehen, und Menschen zu umreißen, die man vielleicht als sonderbar bezeichnen würde. Ich könnte mir durchaus vorstellen, diese Reihe fortzusetzen.

 

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Worum geht es?
Luc Teichmann (in dieser Inszenierung gespielt von Steve Karier) arbeitet bei einer Versicherung, wo er tagein, tagaus „Schadakten" prüft in einer Welt, deren Schäden ständig größer werden und die eigentlich kaum mehr versicherbar ist. Das Verhältnis zu seinen Kolleginnen und Kollegen ist eher distanziert. Um sie sich vom Leib zu halten, und nicht als Einzelgänger aufzufallen, erzählt Luc oft Geschichten, die er beim Tram-Fahren aufgeschnappt hat, und gibt sie als seine eigenen Erlebnisse aus. Dass er in Wahrheit seit einiger Zeit verliebt ist in einen Baum, eine Esche am Stadtrand, die er zärtlich Ash nennt, verschweigt er seinem Umfeld - zu groß ist die Angst, auf Unverständnis, Spott oder gar Ablehnung zu stoßen. Gleichzeitig kreisen sein Denken und Fühlen nur noch um Ash, die in Gefahr ist. Der Sommer ist heiß und trocken, «Sahara-Staub» weht durch die Straßen, und Ash verliert viel zu früh ihr Laub. Jede Nacht schleppt Luc zwei Eimer Wasser zu ihr, im Bemühen, sie zu retten. Dabei begegnet ihm ausgerechnet sein Kollege Albert, und Luc gerät in Erklärungsnot. Soll er sich Albert gegenüber „outen" und womöglich einen Skandal riskieren oder seine „Neigung" weiter für sich behalten?

[Quelle: Rowohlt Theaterverlag]

 

Inteview: Daniel Conrad