Fundamental - 404

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<p style="text-align: justify;">Anfangen hat es mit der Frage, ob ich mir vorstellen k&ouml;nne, einen Monologtext von Theresia Walser zu spielen. Ich konnte nat&uuml;rlich &ndash; selbstverst&auml;ndlich, ich habe Theresia Walsers Sprachfertigkeiten immer sehr gesch&auml;tzt &ndash;, war aber doch &uuml;berrascht, als herauskam, dass Theresia diesen Text extra f&uuml;r mich schreiben wollte.</p>
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<p style="text-align: justify;">Wir trafen uns, kamen prima klar miteinander, spannen herum, zogen Gedankenf&auml;den kreuz und quer zum geplanten Thema &sbquo;Mann liebt Baum&lsquo;... und nach ein paar Tagen stieg in mir ein Unbehagen auf. Ein Unbehagen &uuml;ber meine N&auml;he zum Schaffensprozess der Autorin. Wo, bittesch&ouml;n, fragte ich mich, sollte der Schauspieler die n&ouml;tige Reibung mit dem Text herholen, wenn er, an der Fertigstellung beteiligt, bereits im Vorfeld gl&auml;ttend eingreift? Sich die Vorlage seinem Temperament und seinen F&auml;higkeiten gem&auml;&szlig; einrichten l&auml;sst? Was soll dann auf den Proben noch hinzukommen? Ein geschicktes Arrangement?</p>
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<p style="text-align: justify;">Ich zog mich aus dem Prozess zur&uuml;ck, wollte auf Fassungen warten. Theresia verstand meine Argumente auf Anhieb. Au&szlig;erdem hatte sie, was mir erst sp&auml;ter auffiel, bereits eine Menge von mir aufgenommen, das sie dann verarbeitet einflie&szlig;en lie&szlig;. Wenig Ausgesprochenes, eher Fetzen, Gef&uuml;hle... als ich den ersten Entwurf vor mir liegen hatte, dachte ich, dass sie mindestens ebenso viel aus meinen Pausen gezogen hatte wie aus meinen Aussagen. Doch das war sp&auml;ter erst. Zuvor:</p>
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<p style="text-align: justify;">Eines Tages entfaltete sich auf meinem Bildschirm die eben eingetroffene erste H&auml;lfte des Textes und entlie&szlig; mich nach mehrmaligem Lesen mit kopfsch&uuml;ttelndem Entsetzen. Mit der Wucht der Sprache, mit der bildhaften Poesie der Formulierungen, auch mit den dichterischen Wortumstellungen im Satzbau hatte ich gerechnet. Dies alles traf, und jeder Punkt war Wirkungstreffer. Die diffizil daherkommende Komik der Situationen wie des zu Sagenden entsprach durchaus dem, was ich erwarten durfte. Nein, mein Entsetzen r&uuml;hrte von den Abgr&uuml;nden, die ich zwischen Worten und Zeilen erkannte &ndash; in den L&uuml;cken. Der massive Text, fragmentiert an vielen Stellen, stotternd, stammelnd um Sinn ringend immer wieder, bedeckte nur notd&uuml;rftig eine schwindelerregende Vielzahl von g&auml;hnenden Abgr&uuml;nden. Und je l&auml;nger ich las und laut las und nachklingen lie&szlig;, verklingen, ausklingen, desto klarer wurde mir, dass diese S&auml;tze nicht verklingen wollten. Sie blieben im Raum h&auml;ngen.</p>
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<p style="text-align: justify;">Da wusste ich, dass harte Arbeit vor mir lag. Die Erkenntnis schon bei den ersten z&ouml;gerlichen Proben: Dieser Text &ouml;ffnet sich nur gegen schauspielerische Barzahlung. In harter W&auml;hrung. Was da steht, ist eine Sprechpartitur, die es zu erfassen gilt. Ungenauigkeit, Zurechtlegen von S&auml;tzen, Mogeln wird nicht gehen.</p>
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<p style="text-align: justify;">Eine erste tastende Fassung der H&auml;lfte des Materials zeigen wir als Laborresultat beim Fundamental Monodrama Festival in Luxemburg. Es wirkt. Der Text landet. Trotz meiner &auml;u&szlig;ersten Vorsicht klingt er im Raum, l&ouml;st Lachen aus, Totenstille, Atemlosigkeit, Aufatmen &ndash; beim Publikum wie bei mir. Es geht! Dann die zweite Arbeitsphase, etwa einen Monat sp&auml;ter, ab Mitte Juli, jetzt konkret auf die Weimarer Premiere hin. T&uuml;cken der Schreibform. &Uuml;berfluss an Bildern, an Kl&auml;ngen, besoffen machende Sprache. Aberwitzig waghalsige Gedankenspr&uuml;nge, handwerklich fast nicht zu bew&auml;ltigen.</p>
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<p style="text-align: justify;">Immer wieder stelle ich mir die Frage, bei jedem zweiten Satz: Spielst du noch eine Figur oder singst du schon ein Weihespiel? Seit Heiner M&uuml;llers &bdquo;Prometheus&ldquo; hat kein Text mich so besch&auml;ftigt, hat so viele Interpretationsm&ouml;glichkeiten angeboten, mit so starken Sprachrhythmen gelockt. Doch hier zus&auml;tzlich: unvollendete S&auml;tze, wiederkehrende Versatzst&uuml;cke wie halbbewusste Hecken-W&ouml;rter &ndash; automatische F&uuml;llsel oder doch gemeinte Ausdr&uuml;cke?</p>
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<p style="text-align: justify;">Die Abgr&uuml;nde unter dem Text, in den vielen L&uuml;cken, schreien. Ich schreie sie, ratlos, wie ich sie anders greifen und soweit z&auml;hmen kann, dass sie sich als Worte, in aneinandergereihten Buchstaben, formulieren lassen. Dazwischen immer wieder die faszinierende Gefahr, die l&auml;hmend ausgeht vom nicht Ausgesprochenen, vom Mitklingenden &ndash; menschliche Wunden, gerissen vom Alltag. Vom &sbquo;Morgen ist wieder nur morgen, und alle wieder da&lsquo;. Was f&uuml;r ein hoffnungsloser, bleischwerer Satz! Und das soll eine Liebeskom&ouml;die sein?</p>
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<p style="text-align: justify;">Ich suche bei den Proben nach dem Komischen, dem Absurden, dem unernst Menschlichen. Finde die Spuren in vielen S&auml;tzen, spiele leichter, trage weniger Ballast durch die Bilder, &uuml;berrasche mich selbst and lasse mich &uuml;berraschen. Mein Lachen und L&auml;cheln beim Spielen wird offener, weniger bitter. Daliah Kentges (die Regisseurin, Anm. der Red.) unterst&uuml;tzt mich, l&auml;sst zu, beobachtet und horcht, begleitet mein Tasten aufmerksam und verhilft mir zu Klarheiten. Sie zeigt in Sprache und Situationen kleine Pfade auf, die mir entgehen. Langsam nimmt die Auff&uuml;hrung eine erkennbare szenische Form an. Nach und nach enth&uuml;llt sich ein Ziel. Unsere Geduld zahlt sich aus.</p>
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<p style="text-align: justify;">Noch strenger als zu Beginn halten wir uns beide an unsere Pr&auml;misse: nichts zu tun, nichts zu benutzen, nichts zu sagen, das nicht durch eine Notwendigkeit begr&uuml;ndet ist. Ein Mann, ein Text, zwei Eimer, ein Kost&uuml;m. Ton. Licht. Punkt. Ach... etwas Wasser noch.</p>
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<p style="text-align: justify;">Was ist das eigentlich, was da abl&auml;uft, frage ich mich. Ein St&uuml;ck Theater, nat&uuml;rlich, klar, mit einer etwas komplexen Struktur, aber doch einer erkennbar herausgearbeiteten dramaturgischen Struktur, mit einem Anfang und einem Ende und einer lesbaren B&uuml;hnenerz&auml;hlung dazwischen. Ein Traum ist es &ndash; so kommt es mir oft vor. Alles ein Traum, in dem sich Bilder aus dem Unterbewussten hochschieben, &uuml;ber-, hintereinander. Dann wieder denke ich, es spricht ein Mann, der soeben in der Nacht auf ein Br&uuml;ckengel&auml;nder gestiegen ist, in die dunkle Tiefe und die ebenso dunkle H&ouml;he schaut, seine letzten S&auml;tze zu sagen versucht, bevor er kurz fliegen wird.</p>
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<p style="text-align: justify;">Oder ist es ein begabter B&uuml;hnenscharlatan, der einen vom Baum fabuliert, um seinen kargen Lebensunterhalt zu erschwindeln? Oder gar ein verzweifelter Schauspieler, der in einer &uuml;berlangen Vorsprechrolle zu zeigen versucht, was er auf der Pfanne hat? Die Wahrheit ist, ich wei&szlig; es nicht. Und lade damit diejenigen ein, die Lust darauf haben, ihre Eschenliebe auf der B&uuml;hne zu erkunden, ihre Wege zum Text zu schaffen und es der &Ouml;ffentlichkeit zur vergn&uuml;glichen Verf&uuml;gung zu stellen, wie wir das gerade tun. Und m&ouml;glich w&auml;re es ja, dass auch einmal eine Schauspielerin das ferne Baumherz schlagen f&uuml;hlt... Das w&uuml;rde mich sehr interessieren! Warum soll eine Geschichte immer nur einem geh&ouml;ren?</p>
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<p style="text-align: justify;">Text Steve Karier</p>
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<p style="text-align: justify;">ÜBER DAS STÜCK<br />&bdquo;Eschenliebe&ldquo;, uraufgeführt im August beim Kunstfest Weimar 2023, beschreibt die Liebe eines Mannes zu einem Baum und hinterfragt das Verhältnis des Menschen und der Gesellschaft zur Natur. Nach der Premiere im Deutschen Nationaltheater Weimar tourte die Inszenierung von Daliah Kentges, eine Koproduktion mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, durch verschiedene Theater und andere Spielorte in Thüringen.</p>
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<p style="text-align: justify;">UNSER AUTOR<br />STEVE KARIER, geboren 1961 in Luxemburg, war zunächst in Basel engagiert und arbeitete anschlie&szlig;end einige Jahre freischaffend. Weitere Engagements am Schauspielhaus Bochum, in Mainz sowie erneut am Theater Basel folgten. 2009 gründete Steve Karier in Luxemburg die Produktionsgesellschaft Fundamental, zudem ist er Direktor des alljährlichen Fundamental Monodrama Festivals. Regelmä&szlig;ig arbeitet er als Schauspieler und Regisseur an Theatern der Stadt Luxemburg, am luxemburgischen Nationaltheater sowie bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen.</p>
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Steve Karier über "EschenLiebe"

<p>More information about the EFFE Label: <a href="https://www.festivalfinder.eu/effe-label">https://www.festivalfinder.eu/effe-label</a></p>

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