Vreneli's Gärtli, eine schweizerische Verführung
Oskar Panizza - Anarchist der Feder und des Gedankens – ein besessener Aufrührer, ein ätzender, misstrauischer Provokateur stolpert auf der Flucht aus dem kontrollsüchtigen, polizeistaatlichen Deutschen Kaiserreich wie auf Droge in den Garten Eden. Sein Trip durch Traumlandschaften "mit seltsamen Blumenformen" erwächst ihm aus der Einbildung des Exilanten, hier ein Areal von "Sinnenglück und Seelenfrieden" zu finden, von befreiender Gesetzlosigkeit, von "stichelnder Lustbarkeit". In "Vreneli's Gärtli" vermutet er sowohl die römische als auch die germanische Liebesgöttin: Venus und Freia und jubelt "Ich war auf dem Weg zum Venusberg". Erotisches flimmert ihm durch den Schädel, doch Vreneli, die dralle Wirtin, erweist sich keineswegs als Nymphe und Panizza ist nicht im Paradies angekommen, sondern schläft seinen teuren Rausch auf einer bewirtschafteten Alm im Zürcher Oberland aus.
"Damit es Kunst giebt, damit es irgend ein ästhetisches Thun und Schauen giebt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch", sagte Friedrich Willhelm Nietzsche etwa ein Jahrzehnt vorher und nur ein paar Täler weiter in Sils Maria.
"Vreneli's Gärtli" erschien ursprünglich 1899 in seiner Zeitschrift "Zürcher Diskuszjonen" und verschwand dann 118 Jahre in der Versenkung bis der Limmat-Verlag die Geschichte Anfang 2017 als Büchlein heraus- und Bo Wiget darüber bescheid gab. Der warf es Martin Engler vor die Glotzen und schon ward ein Salon einberufen.